Die Zwangsversteigerung eines Grundstücks ist unter Auflagen auf Zeit einzustellen, wenn der mit der Fortsetzung des Verfahrens verbundenen Suizidgefahr des Schuldners nur durch dessen dauerhafte Unterbringung entgegengewirkt werden könnte.

BGH, Beschluss vom 06. Dezember 2007 – V ZB 67/07

Die verheirateten Schuldner sind Eigentümer eines Hauses, in dem sie seit 37 Jahren wohnen. Die Gläubigerin betreibt die Zwangsvollstreckung in das Grundstück. Wegen Suizidgefährdung der Schuldnerin wird die Zwangsvollstreckung im März 2005 eingestellt. Später wird sie auf Antrag der Gläubigerin fortgesetzt. Die Beschwerde der Schuldner beim Landgericht führt dazu, dass das Zwangsversteigerungsverfahren bis zum 30. April 2009 mit der Auflage eingestellt wird, dass die Schuldnerin sich regelmäßig ambulant psychiatrisch und psychotherapeutisch behandeln lassen muss. Außerdem muss sie das Gericht hiervon unterrichten. Das insoweit vom Landgericht eingeholte Gutachten sagt aus, dass die Schuldnerin depressiv erkrankt sei. Das ihr und ihrem Mann derzeit noch gehörende Grundstück sehe sie als einzigen ihr noch verbliebenen Erfolg ihrer Lebensleistung. Werde ihr das Grundstück genommen, entfalle für sie jeder Sinn, weiterhin zu leben. Die bisherige Behandlung habe daran nichts geändert. Selbst eine Unterbringung der Schuldnerin biete letztlich keine Sicherheit gegen eine Selbsttötung. Die Abwägung der Interessen von Schuldner und Gläubigerin müsse deshalb zu einer befristeten Einstellung der Zwangsvollstreckung führen. Eine Auflage, an die Gläubigerin für die fortdauernde Nutzung eine Entschädigung zu zahlen, komme wegen der Einkommens- und Vermögenssituation der Schuldner ebenfalls nicht in Betracht.
Der BGH bestätigt das Urteil.

Gründe des Gerichts:
Der BGH  wiederholt seine bisherige Rechtsprechung, dass bei der Entscheidung über die Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen eine Abwägung zwischen zwei Grundrechten vorzunehmen ist:
Auf der einen Seite ist dies der aus Artikel 2 Grundgesetz fließende Lebensschutz des Schuldners. Auf der anderen Seite steht das Vollstreckungsinteresse des Gläubigers aus Artikel 14 und Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz. Es müsse daher immer sorgfältig geprüft werden, ob der Gefahr des Suizids nicht auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung begegnet werden könne. Sei es möglich, der Suizidgefahr des Schuldners durch in Gewahrsamnahme entgegenzuwirken, könne die Vollstreckung fortgesetzt werden. Stehe dagegen fest, dass solche Maßnahmen nicht geeignet seien, die Gefahr der Selbsttötung auszuschließen, müsse das Verfahren eingestellt werden. Im Hinblick auf das Interesse des Gläubigers sei die Einstellung aber zu befristen und mit Auflagen zu versehen mit dem Ziel, die Gesundheit des Schuldners wiederherzustellen. Ein solcher Fall sei hier nach den gutachterlichen Feststellungen gegeben. Die Entscheidung des Landgerichts, die Zwangsvollstreckung einstweilen gegen Auflagen einzustellen, sei deshalb richtig.
Für eine Auflage, die Schuldner zu regelmäßigen Zahlungen an die Gläubigerin wegen der Einstellung zu verpflichten, fehle es an einer rechtlichen Grundlage. Auch insoweit sei die Entscheidung des Landgerichts richtig gewesen.

Rechtliche Einordnung:
Die mögliche Lebens- oder Gesundheitsgefährdung von Schuldnern durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen beschäftigt die Gerichte immer wieder. Der             BGH stellt dazu Grundsätze auf, an denen sich die Instanzgerichte zu orientieren haben. Neben der vorzunehmenden Abwägung der Grundrechte von Schuldner und Gläubiger gehört hierher auch, dass dem Gläubiger keine Aufgaben überbürdet werden, die auf Grund des Sozialstaatsprinzips dem Staat und damit der Allgemeinheit obliegen (BGH, I ZB 104/06 vom 22.11.2007). Die Instanzgerichte müssten deshalb sehr genau prüfen, ob eine Einstellung wirklich erforderlich sei und ob eine Gefahr für den Schuldner nicht auch durch andere Maßnahmen begegnet werden könne. Dabei müsse auch vom Schuldner selbst erwartet werden, dass er alles ihm Zumutbare in dieser Hinsicht unternehme.

Kommentar:
Die Rechtsprechung des BGH zu dieser Problematik und die konkrete Entscheidung sind nicht zu kritisieren. Bitter für die Gläubigerin ist allerdings, dass die  Zwangsvollstreckung (Zwangsversteigerung) im konkreten Fall für 4 Jahre ausgesetzt wurde. Da rechtlich auch keine Auflagen für irgendwelche Zahlungen durch die Schuldner zu treffen waren, wird sich die Forderung der Gläubigerin in diesem Zeitraum außerdem beträchtlich erhöhen.