Hier haben wir berichtet, dass Eigentümer zur Säge oder Axt greifen dürfen, wenn Äste vom Nachbargrundstück herüberragen oder Wurzeln die Gehwegplatten auf dem Grundstück anheben. Was aber, wenn man das nicht will oder kann und eine Firma zu teuer ist? Dann wird es schwierig, weil es keinen Vorschussanspruch gibt, so der BGH (Urteil vom 23.3.2023 – V ZR 67/23).
Um was ging es?
Auf dem Grundstück des N steht unweit der Grenze zum Grundstück von E eine Weide, deren Äste herüberragen und eine Pappel, deren Wurzeln unter die Garageneinfahrt des E wachsen und die Pflastersteine anheben. E könnte selbst zur Kettensäge greifen, die Äste absägen und auch die Wurzeln abgraben. Das will oder kann er aber nicht.
Kürzen und gut ist, ist gut, weil günstig.
E erkundigt sich: Das Absägen kostet nur 400,- €, also lässt er das eine Firma machen und klagt die Kosten ein. Die bekommt er auch.
Aber wenn’s zu teuer wird?
Die Wurzelbeseitigung, eine Wurzelsperre und die Reparatur der Auffahrt sollen laut Kostenvoranschlag 2.040 € kosten. Mit einer solchen Summe will E aber nicht in Vorleistung gehen. Also verklagt er den N auf Zahlung von Zahlung von 2.040 EUR netto nebst Zinsen als Vorschuss für die Maßnahmen sowie auf Feststellung, dass N auch alle künftigen Kosten tragen soll. Das Amtsgericht gibt ihm recht, das Landgericht weist seine Klage ab und auch im weiteren Verfahren beim BGH tut sich nichts: Die Pappel wurzelt immer noch vor sich hin, E holpert immer noch zu seiner Garage.
Kein Anspruch auf Vorschuss
Dabei bleibt es auch, solange E nicht selbst den Zustand beseitigt oder den N auf Vornahme der Handlung verklagt, so der BGH.
- Übt E sein Selbsthilferecht aus, kann er die entstandene Kosten geltend machen. So geschehen bei den Ästen.
- Er kann aber nicht zunächst einen Vorschuss verlangen und erst dann die Wurzeln beseitigen lassen.
Warum ist das so?
Mit dem gesunden Menschenverstand ist das nicht so richtig nachzuvollziehen. Juristisch ist das aber ein ungemein spannender Fall. Der der BGH hat etwas entschieden, worüber sich die Juristen seit Jahrzehnten gestritten haben und der BGH hat dabei auch seine frühere Rechtsprechung teilweise revidiert:
Ganz grob gesprochen liegt die Problematik wieder tief vergraben in der im deutschen Recht völlig unterschiedlichen Behandlung von Sachenrecht (also Eigentum) und Schuldrecht (also zum Beispiel Schadensersatzansprüchen).
Die Ansprüche aus § 1004 BGB oder auch § 910 BGB sind – wieder ganz grob gesprochen – Abwehransprüche: Man darf sich gegen Störungen seines Eigentums wehren, wobei dies bei den Wurzeln nicht nur deren Entfernung, sondern auch die hierfür erforderliche Aufnahme der Pflastersteine und deren anschließende Wiederverlegung einschließt.
Aber dieser Anspruch ist nicht auf Geldzahlung gerichtet. Ansprüche auf Geldzahlungen sind in anderen Paragrafen geregelt, die andere, ganz eigene Voraussetzungen haben.
Also: Erst Reparieren, dann Geld wiederholen
E kann Kosten oder Aufwendungen daher erst verlangen, wenn sie bei ihm schon angefallen sind. Hätte er die Arbeiten durchführen lassen, wie beim Absägen der Aste, hätte er die Klage gewonnen.
Oder: Die richtige Klage erheben
Der „juristisch richtige“ Weg wäre folgender: E setzt seinen Abwehranspruch durch, indem er den Nachbarn auf die konkrete Handlung verklagt: Also hier die Entfernung der Wurzeln, Einbau einer Wurzelsperre und die Reparatur der Garagenauffahrt. Mit einem solchen Urteil kann er den Nachbarn zwingen, das zu tun. Weigert sich der Nachbar immer noch, kann E dann – aber erst dann – in der Zwangsvollstreckung den Vorschuss verlangen.
von Rechtsanwalt Johannes Hofele,
Fachanwalt für Steuerrecht
Breiholdt Rechtsanwälte